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Zwischen den Stühlen

Schauspielerin Janine Kunze ist in einer Pflegefamilie groß geworden, mit 18 Jahren wurde sie schließlich auch adoptiert. In einem Buch schildert sie ihre Kindheitserinnerungen.

Sie sind in einer Pflegefamilie aufgewachsen und haben darüber ein Buch geschrieben. Warum?

Janine Kunze: Ursprünglich war das alles andere als meine Idee. Es gab Druck aus der Öffentlichkeit: Wenn ich nicht selbst berichten würde, dann würde man das schreiben, was man so hört. Also habe ich beschlossen zu schreiben – und das liebevoll und positiv. Mit der Hoffnung, anderen Betroffenen helfen zu können. Ich mache auch Lesungen mit Betroffenen, also nicht für die breite Öffentlichkeit. Da erzähle ich offen und ehrlich von mir, kraftvoll und positiv.

Und das können Sie, weil Sie tatsächlich gute Erfahrungen gemacht haben als Pflegekind?

Janine Kunze: Ich hatte eine tolle Kindheit und habe tolle Eltern gefunden. Ich hatte aber auch eine tolle leibliche Mutter. Als Pflegekind sitzt man ja immer zwischen zwei Stühlen, man liebt die Familie, in der man lebt, und man liebt seine Mutter. Aber man wird ständig aus dem Alltag gerissen, wenn ich dann die Wochenenden mit meiner leiblichen Mutter verbracht habe. Dieses Gefühl, zwei Mütter zu haben, ist schon schwierig.

Da ist ja auch die Frage der Identität: Wer ist man, wenn man zwei Mütter und zwei Familien hat?

Janine Kunze: Die Identitätsbildung ist ein ganz schwieriges Thema. Und bei mir kam in der Pubertätsphase, die für sich ja schon kompliziert ist, dann eben dazu, dass meine Mutter versucht hat, mich zurückzuholen. Ich war hin- und hergerissen und verzweifelt. Aber irgendwann habe ich mir gesagt, du kannst dich nicht fallen lassen, du musst das positiv sehen: Du bist ein junger, gesunder und kraftvoller Mensch. Und da sind zwei Familien, die dich lieben und haben wollen, um dich kämpfen – das ist ein großes Geschenk.

Ihre Pflegeeltern hätten Sie gern adoptiert. Warum wollte Ihre leibliche Mutter nicht einwilligen?

Janine Kunze: Anfangs war sie ja nicht in der Lage, mich gut zu versorgen. Ich rechne ihr das hoch an, dass für sie immer ihre Liebe zu mir an erster Stelle stand, dass sie mich auch zu meinem Wohl weggegeben hat. Gleichzeitig hatte sie aber sicher auch egoistische Motive. Und dann zu sehen, dass man sein Kind nicht einfach so zurückkriegt. Sie hat sich am Anfang wohl nicht so viele Gedanken gemacht, wie das dann später wird. Aber sie kann ja nicht einfach nach zehn Jahren kommen und mich zurückhaben wollen, nur weil sie jetzt ihr Leben auf die Reihe gekriegt hat ...

Als Sie dann 18 waren und nicht mehr die Einwilligung Ihrer Mutter brauchten, wollten Sie von Ihrer Pflegefamilie adoptiert werden. Warum?

Janine Kunze: Ich wollte nicht meine leibliche Mutter verletzen. Ich wollte meiner Pflegefamilie zeigen: Ihr seid meine Familie, wir gehören zusammen. Das hatte ja keine großen rechtlichen Konsequenzen, sondern war einfach nur eine große Liebesbekundung.

Was raten Sie den Pflegeeltern, die zu Ihren Lesungen kommen?

Janine Kunze: Zunächst einmal finde ich es ganz toll, dass es Menschen gibt, die Kinder aufnehmen, die keine guten Startvoraussetzungen haben – und zwar nicht nur Paare, die keine Kinder kriegen könnten. Und wenn man dann ein Pflegekind hat, ist Normalität das Wichtigste. Ganz viel Liebe. Im Gespräch bleiben. Man sollte Gefühlen immer Ausdruck geben und sie ernst nehmen. Auch wenn es mal nicht so angenehm ist. Ich würde mir wünschen, dass man den Kindern besser zuhört, sie immer wieder fragt, was sie sich wünschen, wie sie die Sache sehen. Da hat sich schon etwas verändert in den letzten Jahren, aber auch noch nicht genug.

Das Interview wurde im Auftrag des Bundesfamilienministeriums im Rahmen des Magazins „Einblicke Adoption“ geführt.