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Wir hätten dem Kind Chancen verwehrt.

Marcel Mäthes* hatte gerade sein Studienfach gewechselt, als er erfahren hat, dass er Vater wird. Nach einer ausführlichen Beratung hat er sich mit seiner damaligen Freundin entschieden, das Kind zur Adoption freizugeben. Wenn er seinen Sohn heute mit den Adoptiveltern sieht, ist er sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

In welcher Situation waren Sie, als Sie erfahren haben, dass Sie Vater werden?

Meine damalige Partnerin, die leibliche Mutter, hat selbst erst im fünften Monat von der Schwangerschaft erfahren. Sie kam von einem Besuch beim Frauenarzt mit der Nachricht: Wir sind schwanger! Da waren wir erst einmal ratlos. Wir haben uns beide nicht in der Lage gefühlt, ein Kind groß zu ziehen. Ich hatte mich gerade dazu entschlossen, mein Studienfach zu wechseln. Meine Ex-Freundin befand sich in der Ausbildung zur Friseurin. Ich glaube, dass sie auch damals noch nicht die emotionale Reife gehabt hätte, um eine gute Mutter zu sein. Es war einfach eine schwierige Situation. Ich habe immer gesagt, wenn ich mal ein Kind in die Welt setze, möchte ich ihm auch emotionale und finanzielle Stabilität bieten können. Es war keine leichte Entscheidung, weil ich auf jeden Fall eine Familie gründen möchte. Mir war aber klar, dass wir dem Kind zu diesem Zeitpunkt Chancen verwehrt hätten, die es jetzt bei der neuen Familie hat.

Haben Sie mit Verwandten und Freunden offen über das Thema Adoption gesprochen?

Ich habe einige Bekannte, die auch sehr jung Mutter geworden sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade sie Menschen dafür verurteilen, die ihr Kind abgeben. Sie akzeptieren die Entscheidung zwar, haben aber wenig Verständnis dafür, dass das der vernünftigere Weg sein kann. Auch mit meinem Vater konnte ich nicht wirklich über die Schwangerschaft und die Adoption sprechen. Das Verhältnis zu ihm war schon immer schwierig. Als ich ihm erzählt habe, dass wir ein Kind erwarten, sagte er nur: „Jeder verkackt sein Leben auf seine eigene Weise.“. Er hat sich bis heute nicht wirklich dazu geäußert. Das ist natürlich frustrierend und macht es schwer, offen mit dem Thema umzugehen. Von anderen Familienmitgliedern haben wir aber auch Unterstützung erhalten. Mit meiner Mutter und den Eltern meiner damaligen Freundin haben wir alle Optionen durchdacht und sind am Ende gemeinsam zu dem Schluss gekommen: Die Adoption ist die richtige Entscheidung.

Gab es Situationen, in denen Sie an Ihrer Entscheidung gezweifelt haben?

Meine Ex-Freundin hat die Schwangerschaft sehr mitgenommen. Sie hat alle zwei Wochen ihre Meinung geändert und wollte das Kind zwischenzeitlich doch behalten. Das hat oft zum Streit geführt. Für mich stand die Entscheidung eigentlich immer fest – vor allem, als ich dann in der Beratungsstelle die Erfahrungsberichte von anderen Adoptionen gehört habe. Heute habe ich regelmäßig Kontakt zur Adoptivfamilie und dem Kind. Bis sie vor Kurzem weggezogen sind, haben wir uns zweimal im Jahr gesehen. Aber auch jetzt schreiben sie noch regelmäßig Mails und schicken aktuelle Fotos von meinem Kind über die Adoptionsvermittlungsstelle. Aus meiner Sicht ist das das beste Elternpaar, das man sich vorstellen kann. Sie sind überglücklich, dass wir ihnen die Chance gegeben haben, ein Kind zu adoptieren. Sie konnten zu dem Zeitpunkt nämlich keine eigenen Kinder bekommen.

Machen Sie sich heute noch Gedanken über die Adoption?

Wenn man ein Kind zur Adoption freigegeben hat, lässt einen das nie ganz los und es kommen immer mal wieder Fragen auf: Geht es dem Kind wirklich gut? Wie geht es mit dem Kontakt weiter? Als die Adoptiveltern entgegen der ärztlichen Prognose doch noch ein leibliches Kind bekommen haben, war ich ein bisschen besorgt. Vielleicht würden sie das eigene Kind gegenüber dem adoptierten bevorzugen. Aber nachdem ich die Vier beim letzten Treffen zusammen gesehen habe, mache ich mir da keine Sorgen mehr. Ich sehe einfach, wie glücklich sie als Familie sind. Ich frage mich auch, wie das Kind reagieren wird, wenn es eines Tages wirklich versteht, was eine Adoption ist. Das wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Ich würde mich freuen, wenn es dann weiterhin den Kontakt sucht und ich ihm die Situation aus meiner Sicht erklären darf.

Das Interview wurde im Auftrag des Bundesfamilienministeriums im Sommer 2019 geführt.