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Es braucht ein Dorf
Bianca Haab lebt mit ihrem Sohn in einer Wohngemeinschaft - "eine öffentliche Familie" mit starkem Netz. Den wohl schönsten Moment schenkte ihnen die Bauchmama: ein aufrichtiger Segen für den gemeinsamen Weg.
Möchten Sie Sich kurz vorstellen?
Ich bin Bianca Haab, geboren 1987, und arbeite als Personalmanagerin in einem Software-Konzern. Gemeinsam mit meinem fast vierjährigen Sohn lebe ich in einer Wohngemeinschaft mit einer weiteren Pflegemutter, deren Tochter und einer sehr geduldigen Hündin. Mein Partner wollte kein Pflegevater sein, weshalb wir getrennte Haushalte führen; für meinen Sohn ist er dennoch eine geliebte Bezugsperson. Wir verbringen Feiertage und Urlaube gemeinsam, und einmal pro Woche übernachten wir wechselseitig im jeweils anderen Zuhause. Im Alltag erziehe ich meinen Sohn alleinverantwortlich. Wir wohnen in Bremen, im Klimaquartier Ellener Hof, in einem genossenschaftlichen Wohnprojekt - einem Umfeld, in dem man sich trägt und unterstützt. Denn, wie man so schön sagt: Es braucht ein Dorf.
Was hat Sie damals dazu bewegt, Pflegeeltern zu werden?
Schon als Kind habe ich verstanden, dass es Kinder gibt, die kein Zuhause haben. Bei uns lagen die Zeitschriften gemeinnütziger Organisationen, meine Mutter spendete regelmäßig und ich hatte Freundinnen und Freunde, die in Heimerziehung groß geworden sind. So habe ich ihre Lebensrealität kennengelernt und gesehen, wie viel Leid entsteht, wenn Kindern stabile Bindungen fehlen. Für mich stellte sich die Frage: Was kann man tun, damit alle Kinder in einer Familie groß werden? Meine Antwort war schlicht und klar: keine leiblichen Kinder bekommen, sondern - wenn die Zeit für Familie reif ist - Kinder aufnehmen. Daran habe ich mein Leben und meine Partnerschaften ausgerichtet; leibliche Kinder kamen für mich nie infrage, weil der Bedarf an aufnahmebereiten Familien nach wie vor groß ist.
Können Sie eine Ihrer schönsten Erinnerungen mit Ihrem Pflegekind bzw. Ihren Pflegekindern teilen?
Meine schönste Erinnerung hängt mit der leiblichen Mutter meines Sohnes zusammen. Seit seiner Geburt hat sie es nicht geschafft, ihn zu sehen. Einen Tag vor seinem Umzug zu mir - da war er vier Monate alt - erschien sie zu einem Hilfeplan-Gespräch beim Jugendamt. Formal ging es lediglich um die Zustimmung zum Wechsel von der Übergangspflege in die Vollzeitpflege; er hatte von Beginn an einen Vormund, ihre Anwesenheit war nicht erforderlich. Und doch kam sie, um mich kennenzulernen und uns ihren aufrichtigen Segen zu geben. Sie weinte, der Termin ging ihr sichtlich nah, und dennoch sah sie mir fest in die Augen und wünschte uns ehrlich und von Herzen alles Gute für unseren gemeinsamen Weg. Wer ein Kind neun Monate unter dem Herzen trägt, dem fällt das Loslassen sicherlich unendlich schwer; ich respektiere ihre Kraft sehr. Mein Sohn kennt seine Bauchmama nicht, aber wenn wir über sie sprechen, denke ich an diesen Tag zurück und versichere ihm, dass sie ihn liebt und stets versucht hat, die besten Entscheidungen für ihn zu treffen - auch wenn das bedeutete, loszulassen.
Welche Veränderungen hat die Pflegeelternschaft in Ihrem Alltag und in Ihrem Leben bewirkt?
Wir sind eine sogenannte öffentliche Familie: An Entscheidungen sind verschiedene Akteure beteiligt, und viele Menschen schauen mit auf das Wohl des Kindes. Das bedeutet Koordination und Abstimmung, aber auch ein großes Netz an Unterstützung. Ich bin dankbar, dass so viele mit unterschiedlichen Perspektiven dazu beitragen, Kindern die bestmöglichen Chancen zu eröffnen - und dass ich Rat und Hilfe bekomme, wenn ich sie brauche.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen - und wie meistern Sie sie diese?
Die größte Herausforderung ist für mich das Leid der Herkunftsfamilien. Es bedrückt mich, wenn dort Probleme bestehen, die unüberwindbar wirken. Auch wenn mein Sohn eine glückliche, unbeschwerte Kindheit hat, gehört seine Herkunftsfamilie zu seinem System, und ich fühle mich den Eltern, Großeltern, Geschwistern und weiteren Angehörigen verbunden. Mir hilft es, mich auf meine Aufgabe als Pflegemutter dieses einen Kindes zu konzentrieren, seine Bedürfnisse im Blick zu behalten und dort starke, verlässliche Bindung zu schenken.
Welche Unterstützung vom Jugendamt oder anderen Stellen war für Sie besonders wertvoll?
Sehr hilfreich sind die Gespräche zum Entwicklungsstand meines Sohnes, konkrete Unterstützungsangebote und die Vernetzung mit Fachleuten. Besonders wichtig ist in meinem Fall der gesetzliche Vormund: Er ist engagiert, greift zum Telefon, wenn es etwas zu klären gibt, und setzt sich spürbar für die Belange meines Sohnes ein. Bei Hausbesuchen spielt er mit ihm, baut eine Höhle, malt oder liest vor; in dieser entspannten Atmosphäre sprechen wir sehr gut über Fördermöglichkeiten. Am wertvollsten ist, wenn Kind, Pflegefamilie und Herkunftsfamilie nicht als "Akte" verstanden werden, sondern als Menschen mit echten Bedürfnissen. Im Hilfesystem bin ich bisher überall auf aufrichtige Empathie gestoßen und habe mich ernst genommen gefühlt.
Was würden Sie Menschen sagen, die überlegen, Pflegeeltern zu werden, aber noch unsicher sind?
Jedes Kind ist eine Wundertüte - und ein Geschenk. Wer Platz im Haus und im Herzen hat, kann einem Kind ein Zuhause schenken. Die Unterstützungsmöglichkeiten sind vielfältig, und mit guter Vernetzung lässt sich auch als Alleinerziehende alles verlässlich organisieren.
Das Interview wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) im Rahmen der Kampagne "Zeit, die prägt" geführt.