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Es war sein erster richtiger Urlaub - voller "erster Male" und purer Freude
Britta und Ralf wurden "von jetzt auf gleich" wieder Eltern. Erste Urlaubsfreude, volle Kalender - und die Erkenntnis: Achtsamkeit als Paar trägt durch harte Phasen und macht Platz für familiäres Glück.
Möchten Sie Sich kurz vorstellen?
Wir sind Britta (53) und Ralf (59). Seit vier Jahren sind wir jeweils in zweiter Ehe verheiratet. Unsere fünf leiblichen Kinder aus den ersten Ehen sind erwachsen und leben über die Bundesrepublik verteilt. Im Mai 2022 kam unser damals siebenjähriger Pflegesohn zunächst im Rahmen einer Inobhutnahme zu uns. Nach 16 Monaten ging diese in eine Dauerpflege über.
Was hat Sie damals dazu bewegt, Pflegeeltern zu werden?
Ralf: Ich war offen für eine neue Herausforderung. Beruflich lief alles entspannt, meine drei leiblichen Kinder waren erwachsen und ausgezogen. Ein soziales Engagement hat mich gereizt. Der Auslöser war dann der Film "Blind Side - Die große Chance" mit Sandra Bullock. Damit habe ich Britta an die Idee herangeführt, ein Pflegekind aufzunehmen.
Britta: Ich bin mit mehreren Pflegegeschwistern groß geworden - manche blieben nur kurz, andere länger. Heute habe ich keinen Kontakt mehr zu ihnen, denn die Erinnerungen sind nicht alle nur positiv. Deshalb war ich zunächst zurückhaltend. Ralf und ich haben dann lange und offen miteinander gesprochen. Daraus ist unsere gemeinsame Motivation gewachsen: noch einmal ein Kind auf seinem Weg zu einem selbstbewussten, glücklichen Erwachsenen zu begleiten und zu coachen. Meine Gründe, trotz meiner eigenen Erfahrungen Pflegemama zu werden: Ich möchte einem Kind eine Chance eröffnen, es in eine aussichtsreiche Zukunft begleiten; ein heiles Zuhause geben, Raum für Entwicklung und Kindheit geben. Und ich weiß: Wir verfügen über die Ressourcen und Kompetenzen, die es dafür braucht.
Können Sie eine Ihrer schönsten Erinnerungen mit Ihrem Pflegekind beziehungsweise Ihren Pflegekindern teilen?
Unser Pflegesohn kam im Mai 2022 ganz spontan zu uns. Für Juni hatten wir mit den Nachbarn bereits ein verlängertes Wochenende gebucht. Am Abend vor der Abreise haben wir es ihm so erzählt, dass er selbst die Idee zu der Reise hatte - und er durfte die Nachbarn gleich anrufen, ob sie Lust hätten mitzukommen. Wir haben noch nie jemanden erlebt, der sich so freuen konnte: Wie ein Flummi hüpfte er singend durch die Wohnung, tanzte, sprudelte vor Worten und packte seinen eigenen Koffer. Es war sein erster richtiger Urlaub - voller "erster Male" und purer Freude. Wir denken alle gern daran zurück.
Welche Veränderungen hat die Pflegeelternschaft in Ihrem Alltag und in Ihrem Leben bewirkt?
Von jetzt auf gleich waren wir wieder Eltern. Unsere Freiheit im Alltag wurde kleiner; wir richteten uns erneut nach den Bedürfnissen eines Kindes. Und im Unterschied zu leiblichen Kindern bringt ein Pflegekind viele Beteiligte mit und der Kalender füllt sich schnell - anfangs mit wöchentlichen Besuchskontakten, dazu Termine mit dem Jugendamt, dem Vormund, Ärzten und Lehrkräften. Insgesamt wurde unser Leben also fremdbestimmter.
Britta: Gleichzeitig gab es unzählige wunderschöne Momente. Der Alltag mit einem Grundschulkind steckt voller Glück: Lernfortschritte, spürbare Veränderungen im Verhalten, überschäumende Freude an Weihnachten und Geburtstagen, im Museum, Theater und Urlaub. So viel ist zu entdecken. Was für unsere leiblichen Kinder selbstverständlich war, wird mit diesem Kind zum Abenteuer. Mit Kindern zu leben, hieß für mich immer: mit ihnen staunen, lachen und weinen. Und auch wenn es schwierige Phasen gibt, weiß ich: Es wird gut.
Ralf: Ich begleite unseren Pflegesohn mit offeneren Sinnen - vielleicht auch durch das fortgeschrittene Alter und die damit einhergehende Reife. Ich nehme die Welt wieder intensiver wahr. Selbstverständlichkeiten werden hinterfragt, ebenso eigene Gewohnheiten, mit denen man kein gutes Vorbild ist - und die man auch später im Leben noch ändern kann (meine Zahnhygiene war nie zuvor so gründlich).
Was sind für Sie die größten Herausforderungen - und wie meistern Sie diese?
Eine große, so nicht vorhergesehene Herausforderung war die Belastung unserer Beziehung. Zwischenzeitlich haben wir uns professionelle Unterstützung durch einen Paartherapeuten geholt. Wichtig ist, als Paar achtsam zu bleiben: Wie geht es der Partnerin oder dem Partner - im Moment und insgesamt mit der neuen Situation? Der Fokus richtet sich schnell ausschließlich auf das Pflegekind und seine Bedürfnisse. Das ist verständlich, gerade weil man um sein erlebtes Trauma weiß und ihm besonders guttun möchte. Trotzdem dürfen die partnerschaftlichen Bedürfnisse nicht hinten runterfallen. Was wir aus dieser Zeit mitgenommen haben: auf uns als Paar gut Acht geben und trotz unterschiedlicher Ansichten die Nähe bewahren - das ist Arbeit und gelingt nicht immer allein. Hilfe und Beratung suchen, wenn nötig. Im Gespräch bleiben.
Herausfordernd war in unserem Fall auch, dass die leiblichen Eltern mit Rechtsbeistand und Unterstützung des Vormunds weiter um ihr Kind gekämpft haben. Über insgesamt 18 Monate haben wir vor Gericht die Interessen unseres Pflegesohns vertreten, der inzwischen sehr gern bei uns bleiben wollte. Letztlich durfte er bleiben.
Welche Unterstützung vom Jugendamt oder anderen Stellen war für Sie besonders wertvoll?
Der Vorbereitungskurs zur Prüfung der Eignung war ein guter Einstieg: Er hat unser Bild geschärft und erste Netzwerke eröffnet. Später sind wir in eine Erfahrungsaustauschgruppe mit unabhängiger, professioneller Moderation gekommen, die sich monatlich trifft und vom Jugendamt finanziert wird. Dort wurden wir bestärkt, zum Wohl des Kindes notfalls auch die Konfrontation mit dem Jugendamt zu suchen.
Was würden Sie Menschen sagen, die überlegen, Pflegeeltern zu werden, aber noch unsicher sind?
Informieren Sie sich im Vorfeld umfassend und sprechen Sie mit Pflegeeltern - gern auch mit Menschen aus angrenzenden sozialen Feldern. Eine große Herausforderung kann das Pflegekind mit seinem "Päckchen" und möglichen Erkrankungen sein; darauf wurden wir im Kurs vorbereitet.
Trotz gründlicher Vorbereitung lässt sich nicht vorher ausmalen, was auf einen zukommt. Holen Sie sich in schwierigen Situationen externe Unterstützung - man muss nicht alles allein schaffen. Rückblickend ist es für uns als Familie und speziell für unseren Pflegesohn ein großer Gewinn.
Das Interview wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) im Rahmen der Kampagne "Zeit, die prägt" geführt.