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Wir wachsen mit jeder neuen Situation
"Es hat unser Leben komplett verändert - im besten Sinne." Zwischen Physiotherapie, Besuchskontakten und Hausgebärdensprachunterricht wächst in Neukirchen‑Vluyn eine Familie, die vielen Kindern ein erstes Zuhause bietet.
Hinweis zur Anonymität: Die Interviewpartner bitten, zum Schutz der Kinder, die Namen von zwei ihrer Pflegekinder nur als Initialen zu veröffentlichen.
Möchten Sie Sich kurz vorstellen?
Wir sind Familie Brenczek: René (36), Line (36), unser Sohn Moritz (14), unsere Dauerpflegetöchter Elisa (6) und E. (1) sowie unser Bereitschaftspflegekind L. (3). Elisa kam mit vier Wochen zu uns. Über E. dürfen wir keine Auskunft geben. L. lebt seit November 2025 vorübergehend bei uns. Wir wohnen in Neukirchen-Vluyn und haben uns vor vier Jahren unseren Traum vom eigenen Haus erfüllt - ein sicherer, ruhiger Rahmen, der den Kindern guttut.
René: Ich bin Wirtschaftspsychologe, arbeite als Personalentwickler mit 30 Stunden und bin seit September 2025 in Elternzeit, um Familie und Beruf gut zu vereinbaren.
Line: Ich bin examinierte Pflegefachkraft, war viele Jahre in der Kinderintensivpflege tätig und habe mich vor sechs Jahren entschieden, mich ganz unserer Familie und den Pflegekindern zu widmen. Wir verstehen uns als offene, herzliche Familie und möchten Kindern einen sicheren Ort geben - mit Liebe, Spaß und viel gemeinsamer Zeit.
Was hat Sie damals dazu bewegt, Pflegeeltern zu werden?
Line: Der Wunsch war früh da. In meinem Beruf habe ich viele Kinder mit Behinderung begleitet, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen konnten. Diese Erfahrungen haben mich sehr geprägt. Es hat mich immer berührt zu sehen, wie wichtig ein liebevolles, stabiles Umfeld für die Entwicklung eines Kindes ist - und wie entscheidend es ist, ob ein Kind die Chance bekommt, in einer Familie anzukommen. Daraus ist der Wunsch entstanden, selbst Pflegekindern ein solches Zuhause zu geben.
René: Ich wollte immer eine Familie mit Kindern. Mein Psychologie-Schwerpunkt im Studium und die Arbeit als Fußballtrainer ab 16 haben mir gezeigt, wie erfüllend es ist, Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten. Durch Line kam ich mit dem Thema Pflege in Kontakt - je mehr ich darüber erfahren habe, desto klarer wurde: Wir gehen diesen Weg gemeinsam und geben Kindern ein Zuhause.
Können Sie eine Ihrer schönsten Erinnerungen mit Ihrem Pflegekind bzw. Ihren Pflegekindern teilen?
Ein kleines Mädchen lebte als Baby etwa vier Monate bei uns - wir durften ihre ersten Schritte, ihr Lachen und ihren ersten Geburtstag miterleben. Als sie 13 Monate alt war, lernte sie ihre neue Dauerpflegefamilie kennen. Dieser Moment war still und bewegend: Man spürte sofort die Liebe und Hoffnung dieses Neuanfangs. Heute sind wir mit der Familie befreundet und sehen, wie gut es dem Mädchen geht. Es erfüllt uns mit Dankbarkeit, ein Stück ihres Weges begleitet zu haben.
Welche Veränderungen hat die Pflegeelternschaft in Ihrem Alltag und in Ihrem Leben bewirkt?
Es hat unser Leben komplett verändert - im besten Sinne. Unser Alltag ist lebendiger, bunter und natürlich auch herausfordernder geworden. Jede Aufnahme bringt Veränderungen, und wir wachsen mit jeder neuen Situation. Seit Renés Elternzeit können wir Verantwortung flexibler teilen und uns besser abstimmen. Trotzdem brauchen wir bei jedem neuen Kind etwas Zeit, um uns aufeinander einzustellen, die Bedürfnisse des Kindes kennenzulernen und wieder eine neue Balance im Familienleben zu finden.
Trotz aller Herausforderungen überwiegt dabei aber für uns immer die Freude: Nähe, Vertrauen und viele kleine Alltagsmomente erinnern uns täglich daran, warum wir uns für diesen Weg entschieden haben.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen - und wie meistern Sie diese?
Die größte Herausforderung ist eindeutig die Organisation unseres Alltags - vor allem die Planung der Woche. Mit mehreren kleinen Kindern gibt es viele feste Termine, zum Beispiel Frühförderung, Ergotherapie oder Physiotherapie. Dafür braucht es einen guten Überblick und manchmal Improvisation. Unsere Tochter Elisa ist gehörlos, und seit sie zwei Jahre alt ist, lernen wir gemeinsam mit ihr die Deutsche Gebärdensprache. Wir haben mehrmals pro Woche Hausgebärdensprachunterricht. Das ist zeitintensiv, aber unglaublich bereichernd: Wir lernen eine neue Kultur kennen und geben unserer Tochter die Möglichkeit, sich altersgerecht zu entwickeln.
Eine weitere große Herausforderung ist immer die Eingewöhnung neuer Kinder. Jedes Kind bringt eine eigene Geschichte, ein eigenes Tempo und individuelle Bedürfnisse mit. Sich darauf einzustellen, braucht Zeit, Aufmerksamkeit und oft Kreativität - und genau das macht diese Aufgabe für uns so besonders und wichtig.
Welche Unterstützung vom Jugendamt oder anderen Stellen war für Sie besonders wertvoll?
Sehr hilfreich ist die Unterstützung des Jugendamts bei der Koordination der Besuchskontakte. Das entlastet uns und schafft klare Strukturen für alle Beteiligten. Auch die finanzielle Unterstützung ist wichtig, damit wir den Kindern ein sorgenfreies und stabiles Leben bei uns ermöglichen können - mit allem, was sie für ihre Entwicklung und ihr Wohlbefinden brauchen.
Was würden Sie Menschen sagen, die überlegen, Pflegeeltern zu werden, aber noch unsicher sind?
Sucht den Austausch mit anderen Pflegefamilien - das hilft am meisten. Wir sind ganz normale Menschen, die Kindern, die wenig Stabilität erlebt haben, zeigen möchten, dass es auch anders sein kann.
Reflektiert euch ehrlich: Was bedeutet Familie für mich? Wie habe ich Familie erlebt? Was ist uns im Zusammenleben wichtig? Diese Fragen stellt sich jede junge Familie. Und: Ebenso wichtig ist das Bewusstsein, dass nicht alle Menschen die gleiche Kindheit hatten wie man selbst. Als Pflegeeltern geht es nicht darum, Herkunftsfamilien zu bewerten oder zu ersetzen, sondern Kindern einen sicheren Ort zu geben und sie ein Stück weit Teil der eigenen Familie werden zu lassen.
Das Interview wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) im Rahmen der Kampagne "Zeit, die prägt" geführt.